Streitgespräch: „Der Verbraucher ist nicht bereit, für gute Ware mehr zu zahlen“

Über die Folgen des Dioxin-Skandals und die Zukunft der Landwirtschaft fragte die NRZ den Biobauern Bernd Verhoeven und den Bauernfunktionär Josef Peters.

 
Unter Ziegen: NRZ-Redaktionsleiter Andreas Gebbink (rechts) und Volontär Andreas Berten (links) im Gespräch mit Massentierhaltungs-Fürhalter Josef Peters (Zweiter von links) und Biobauer Bernd Verhoeven. Foto: Thorsten Lindekamp

Herr Verhoeven, waren Sie schon mal bei Aldi?
Verhoeven: Ja, die hatten vor Weihnachten Schreibtischsessel, da habe ich zwei gekauft.
Wir meinten eher: an der Wursttheke?
Verhoeven: Nein! Wir sind zu 99 Prozent Selbstversorger.
Weil Sie anders über Landwirtschaft denken als Herr Peters.
Peters: Ich sehe das gar nicht so, dass wir unterschiedliche Meinungen haben.
Verhoeven: Generell streiten wir beide für die Landwirtschaft. Biobauern und konventionelle Bauern sind nicht unbedingt konträr. Wir beide leiden darunter, dass der Verbraucher nicht bereit ist, für gute Ware mehr zu zahlen. So gibt es zwei Wege, um aus dieser Bredouille herauszukommen: Entweder sucht man sich eine Nische und vermarktet direkt – oder man kompensiert die Billigpreise durch Menge.
Peters: Der Verbraucher bestimmt, wie und was produziert wird. Es hat sich noch keiner leisten können, am Markt vorbei zu produzieren.
Verhoeven: Wir sind im Klever Raum sehr gut aufgestellt. Lokales Fleisch, eigenes Getreide – das kann man alles hier kaufen. Aber der Verbraucher muss es nachfragen.
Egal, ob man einen Hof mit 1000 Kühen oder einen Bio-Bauernhof hat?
Verhoeven: Wir vertreten unterschiedliche Produktionsweisen. Der konventionelle Landwirt produziert für den Binnenmarkt, ich produziere für den Wochenmarkt. 90 Prozent unserer Produkte werden direkt abgesetzt.
Ist das für Sie überlebenswichtig?
Verhoeven: Wir haben drei, vier Stufen Zwischenhandel, die die Marge abschöpfen. Wir als Erzeuger bekommen den kleinsten Teil. Für ein Kilo Ziegen- oder Kuhkäse benötige ich zehn Liter Milch. Am Ende bekomme ich vier Euro, der Molker sechs Euro. Der Käse kostet den Endverbraucher aber 19 Euro. Der Zwischenhandel schöpft ab, hat außer der Logistik keine Arbeit.
Öko ist der Gewinner des Dioxinskandals, oder?
Peters: Ich bin der Vertreter aller Bauern und weit davon entfernt, irgendeine Art der Produktion zu verteufeln. Derzeit ist durch die Dioxingeschichte der Ökolandbau wieder forciert worden, das wird sich wieder legen. Wenn die Politik jetzt versucht, über Geld mehr Bauern dazu zu bewegen umzustellen und der Markt wieder übersättigt ist, dann ist das nicht dem Öko-Landbau dienlich.
Verhoeven: Wir hatten das Problem, dass von außen der Anbau gefördert wurde. Wenn man den Markt mit Produkten überschwemmt, für die gar kein Absatz da ist, haben wir natürlich den freien Fall.
Peters: Die Politik hat ein großes Interesse daran, dass Nahrungsmittel billig bleiben – und setzt alles daran, dass sich nichts ändert.
Bleibt Bio eine Nische?
Peters: Das bestimmt der Markt.
Verhoeven: Ich schaue immer, wo ich mich optimieren kann. Ein Bauer ist ein gewinnmaximierender Unternehmer. Leider gelingt uns das nicht immer so.
Peters: Das ist in anderen Bereichen aber auch.
Verhoeven: Aber der Bauer ist ein langfristig planender Unternehmer. Wenn heute ein Kalb auf die Welt kommt, erziele ich den ersten Ertrag in zweieinhalb Jahren. Wir haben das Problem, dass uns die jungen Bauern nicht nachwachsen, weil die sagen, das ist zu viel Risiko.
Peters: Das gibt’s in anderen Branchen ja auch. Der Strukturwandel wird in den nächsten Jahren noch rasanter fortschreiten als bisher – das bringen Aldi und Co. mit sich.
Industrielle Landwirtschaft ist auf dem Vormarsch. Ist das der richtige Weg?
Verhoeven: Natürlich nicht. Unsere Idee ist es, mit relativ kleinen Einheiten direkt zu vermarkten. Da vorne (zeigt mit dem Finger, Anm.d.Red.) haben wir einen industriellen Geflügelhalter auf einem Grünlandstandort mit 40 000 Puten, der nicht einen Hektar Weizen hat. Solche Betriebe sind für einen Skandal prädestiniert. Er ist ein netter Kollege, menschlich alles wunderbar, aber er muss auf Futtermittel von außen bauen – da weiß er nicht, was drin ist. Wir können immer nur hoffen, dass alles sauber ist.
Peters: Egal ob im konventionellen oder im Biobereich: Den Letzten beißen die Hunde. Auch im Biobereich hat man ja Dioxin gefunden.
Verhoeven: Richtig. Das Futter kam aus der Ukraine.
Peters: Es wird immer so dargestellt, als wäre die gesamte Futtermittelindustrie betroffen. Es ist aber nur ein einziger Fetthersteller, der gesaut hat. Aber auch die meisten Biobetriebe kommen nicht ohne Zukauffutter aus. Wenn man mal die Produktionsmenge sieht – die Produktion von Biolebensmitteln liegt bei drei Prozent –, ist in diesen Nahrungsmitteln bisher mehr Dioxin aufgefallen als in herkömmlichen. Das soll kein Vorwurf sein, die Ursache war immer am Anfang der Kette zu finden. Der Verbraucher reagiert: Im Moment sagt er, Bio ist mir sicherer.
Verhoeven: Mein Bio ist sicher!
Peters: Aber wenn der Bauer schreibt: Wir arbeiten ohne Gentechnik! Das kann er doch nicht mehr beeinflussen.
Verhoeven: Hier vorne im Stall ist das Schild, frisch geputzt. Ich kann hundertprozentig sagen, dass ich ohne Gentechnik arbeite. Aber ich kaufe auch kein Weizensaatgut dazu, sondern vermehre den Weizen seit 20 Jahren selber. Für mich steht der Kreislaufgedanke an oberster Stelle – und das ist für die Verbraucher die größte Sicherheit.
Wird durch die konventionelle Produktionsweise solchen Skandalen, wie wir sie jetzt haben und wie wir sie wieder bekommen werden, Tür und Tor geöffnet?
Peters: Das würde ich so nicht sagen. Wovon sprechen wir beim Dioxinskandal? Das wird hochgepusht, weil Dioxin gefährlich ist. Richtig, aber ich muss von diesen verseuchten Eiern 60 Stück essen, um genauso viel Dioxin aufzunehmen, als wenn ich eine Zigarette rauche.
Was ergibt sich daraus für den Tierschutz?
Peters: Die Dioxinwerte in diesen Großmastanlagen sind geringer, dafür gibt’s genaue Untersuchungen. Wir müssen mit dem Problem fertig werden. Und da ist eine Aufgabe der Landwirtschaft aufzuklären. Ich verfluche Öko nicht – vielleicht müssen wir in den nächsten Jahren 10 bis 20 Prozent davon produzieren, aber wenn das alles wieder abgeklungen ist und ins Portemonnaie geguckt wird, relativiert sich das auch wieder. Niemand hat Interesse daran, den Verbraucher zu verunsichern.
Verhoeven: Das hat er nicht, aber der Erzeuger ist ja nicht mehr am Markt.
Peters: Doch.
Verhoeven: Sie kriegen von der Molkerei gesagt, was die Milch kostet. Sie kriegen vom Schlachthof gesagt, was das Schwein für einen Wert hat.
Peters: Das stimmt nicht.
Verhoeven: Sie haben keinen Einfluss darauf. Ich kann nicht sagen: Ich habe für die Milch die Produktionskosten X, die muss ich haben, sonst mache ich das nicht. Der Bauer ist sehr stark abhängig von den Global Players. Aldi und Lidl geben uns den Milchpreis vor. Wir haben die Marktstrukturen an die Discounter abgegeben.
Peters: Wir haben viele unserer Produkte nicht über Genossenschaften vermarktet. Das ist das Problem in Deutschland, dass unsere Vermarktungsunternehmen zu knapp bei Kasse sind. Die haben kein Eigenkapital und sind damit erpressbar.
Verhoeven: Eben.
Peters: Ich sitze in einem Gremium bei Campina, der drittgrößten Molkereigenossenschaft der Welt mit 17 000 Mitgliedern. Die bestimmen auch, was wir produzieren. Unser ureigenstes Interesse ist es, die Produkte bestmöglich zu verwerten.
Verhoeven: Natürlich.
Peters: Wenn der Verbraucher sagt, er möchte keine Gentechnik, bietet Campina mit der Marke Landliebe eine gentechnikfreie Milch an.
Verhoeven: Das geht doch nicht, haben Sie eben gesagt. Gentechnikfrei könne man nicht garantieren…
Peters: Das geht, seitdem die Politik Grenzwerte festgelegt hat. Da rede ich nicht von Aldi, das ist der einzige Discounter, der nur no name verkauft. Aber Lidl, Edeka und Rewe verkaufen auch Marken. Wenn ich jetzt einen Liter Milch haben will, egal wo, kaufe ich den im Tetra-Pack mit 3,7 Prozent Fett für 59 Cent. Daneben steht dann eine regionale Marke, die kostet aber 68 Cent. Daneben steht eine etwas gehobene Marke für 74 Cent. Dann kommt Herr Müller mit Weihenstephan – oh ganz was Besonderes… Die kostet dann 79 Cent. Wir reden immer noch vom selben Liter Milch. Und daneben steht dann Landliebe, die Premiummarke ohne Gentechnik für 91 Cent.
Verhoeven: Wo hat der Erzeuger jetzt die Möglichkeit, auf seine Milch Einfluss zu nehmen? Der Mehrwert, der Weihenstephan-Zuschlag, geht ans Marketing. Wir können nur unseren Gewinn maximieren, indem wir an den kleinen Schrauben drehen: mehr, effektiver und am besten in größerer Tierzahl zu produzieren.
Peters: Wir als Genossenschaft haben diesen Einfluss genommen: Wir sind vor drei Jahren bei Aldi ausgestiegen, weil wir gesagt haben: Wenn wir überdurchschnittliche Milchpreise für unsere Bauern erwirtschaften wollen, können wir nicht Aldi beliefern.
Herr Peters, Sie haben mal gesagt, nur mit Bio können wir die Welt nicht ernähren. Man müsse schon konventionell wirtschaften, um die nachgefragten Mengen zu produzieren.
Peters: Und das wird ja von Tag zu Tag schlimmer. Man denke nur an alternative Energien. Man benötigt riesige Flächen, und die sind nun mal der knappste Faktor. Das gilt genauso für Lebensmittel.
Verhoeven: Die Energiekosten werden uns irgendwann abdriften, da sind wir uns alle einig.
Peters: Die Energiekosten sind in der Bioproduktion ja auch höher als im konventionellen Bereich.
Verhoeven: Das halte ich aber für ein Gerücht.
Peters: Die Umweltbelastung, um einen Liter Bio-Milch herzustellen, ist höher.
Verhoeven: Das müssen Sie mir mal erklären.
Peters: Ich brauche ja mehr Hektar zum Pflügen, und der Diesel, den der Schlepper…
Verhoeven: Ich pflüge nicht.
Peters: Okay, im konventionellen Bereich wird ja auch schon immer mehr auf den Pflug verzichtet. Tatsache ist, dass die Umweltbelastung höher ist.
Verhoeven: Beim konventionellen Anbau holen wir uns das Soja aus dem brasilianischen Regenwald. Dann brauchen wir Stickstoff, ohne den geht nichts. Um ein Kilo Stickstoff, den man mineralisch düngt, zu gewinnen, benötigt man zweieinhalb bis drei Liter Öl – also sehr energieaufwendig. Und wo ist Energie billig? In Nicaragua. Woher kommt denn der saure Regen?
Peters: Von da vorne: Für zehn Euro in die Weltgeschichte fliegen.
Verhoeven: Da gebe ich Ihnen Recht. Mein größtes Feindbild – das ist ja noch schlimmer als Sie.
Wird sich der aktuelle Bio-Boom fortsetzen?
Peters: Der Verbraucher ist ja nicht ehrlich. Wenn wir auf die Straße gegangen sind und gesagt haben, wir brauchen mehr für unsere Produkte, hat jeder gesagt: Ihr habt Recht, ist viel zu billig. Aber die treffen wir alle bei Aldi auf dem Parkplatz wieder. Bio ist und bleibt eine Nische, weil es sich der durchschnittliche Vier-Personen-Haushalt gar nicht mehr leisten kann. Nahrungsmittel müssen gut sein und satt machen. Und wenn man sich im Sommer wieder an den Grill setzt, fragt keiner mehr, wo das Schwein herkommt.
Für wen produzieren Sie, Herr Verhoeven? Sind das die Leute mit einem Einkommen ab 3500 Euro?
Verhoeven: Die sind auch dabei, viele Lehrer. Ich mache aber auch alle drei Wochen meine Schnäppchenaktion – das ist natürlich die Mentalität der Deutschen. Ich mache ein Rindfleischpaket, sie müssen zehn Kilo kaufen und ich nehme acht Euro pro Kilo. Da werden sie im Supermarkt nicht viel günstiger sein. Für den Liter Milch ab Hof nehme ich 70 Cent. Da bin ich noch unter Herrn Müller, oder? Biomilch mit 5,7 Prozent Fett, also ganz was Leckeres. Das ist nicht teuer, ich muss mich nur damit beschäftigen.
Und wo gehen Sie einkaufen, Herr Peters?
Peters: Bei Aldi und Edeka.
Auch beim Bio-Bauern?
Peters: Nö.
Warum nicht?
Peters: Das ist eine Einstellungssache. Unsere konventionellen Produkte sind so gut, und ich weiß, wie sie hergestellt werden, dass ich keine Bedenken habe.

NRZ Kreis Kleve, 21.01.2011, Andreas Gebbink, Andreas Berten

Quelle: http://www.derwesten.de/staedte/kreis-kleve/Der-Verbraucher-ist-nicht-bereit-fuer-gute-Ware-id4192384.html